Seit einigen Jahren habe ich meine kindliche Freude an diesem Spiel wiederentdecken können und darf als Musiker und Betreiber des Internationalen Netzwerkes für Obertonmusik mit dazu beitragen, dass dieses kleine und feine Instrument in unserem deutschsprachigen Kulturraum wieder bekannter wird. Das Spielen der Maultrommel ist nahezu überall möglich, weil das Instrument so klein ist, dass ich immer ein Instrument wie ein Amulett mit mir tragen kann. Wenn ich beispielsweise auf einen Bus oder die S-Bahn warten muss, greife ich zu diesem Instrument und übe, spiele und begeistere die Menschen um mich herum mit meinem Maultrommelspiel. Die Maultrommel ist eine Möglichkeit, Lebensfreude als und in Rhythmus und Klang zum Ausdruck zu bringen.
Mozart, Haydn und Albrechtsberger
Bis zu Beginn des 19. Jhdt. hatte die Maultrommel selbst in Kompositionen klassischer Musik ihren Platz. So hatte Mozart einst ein Maultrommel Portativ komponiert, das unter W.A. Mozart KV 15b zu finden ist. Der Klassiker unter Maultrommelkompositionen stammt von Johann Georg Albrechtsberger. Die sogenannten „Albrechtsberger Maultrommelkonzerte für Maultrommel & Mandora“ sind ein fantastisches Werk österreichischer Maultrommelkunst. Doch lang ist es her: Albrechtsberger wurde 1736 in Klosterneuburg geboren und starb 1809 in Wien. Er war Musiktheoretiker und Komponist, ab 1772 Hoforganist und Kapellmeister am Wiener Stephansdom und war eng mit Joseph Haydn befreundet. Doch im 19. Jahrhundert war es die Mundharmonika, die die Maultrommel aus dem allgemeinen Bewusstsein verdrängte. Interessant ist, dass wir nicht von Maulharmonika sprechen, sondern von Mundharmonika. Vielleicht liegt es daran, dass uns auf einer Mundharmonika mindestens eine Oktave Tonhöhenumfang zur Verfügung steht, wobei die Maultrommel im Prinzip nur auf einem Ton – dem Grundton – gespielt wird?
Der (Grund-)Ton macht die Musik
Wurde die Maultrommel von einem Maultrommelmeister gefertigt, dann ist die Maultrommel in der Regel auf einem reinen Ton aus der C-Dur Tonleiter – also womöglich auf einem C, Cis, D, Dis etc. – gestimmt. Auf dem Grundton der Maultrommel lässt ein geübter Maultrommelspieler durch gezielte Modulationen der Zunge, des Mund- und Rachenraumes unterschiedliche Obertöne entstehen. So ist es möglich, auf einem Grundton unterschiedliche Tonhöhen erklingen zu lassen. Man kann sagen, dass die Maultrommel eben nicht nur mit dem Mund gespielt wird. Beim Maultrommelspiel ist der gesamte Brust-, Hals und Rachenraum beteiligt. Inwieweit diese Klangräume in uns er- und mitklingen, hängt vom Können und von der Lust am Experimentieren und Improvisieren der Spielerin bzw. des Spielers ab. Garantiert hat Maultrommelspielen ein hohes Suchtpotential und wir mir scheint, greift der Maultrommelvirus mehr und mehr um sich, dass sich ein Maultrommel Künstler Duo aus Linz in Österreich bereits „Maul- und Trommelseuche“ nennt. Die beiden Musiker von der „Maul- und Trommelseuche“ pflegen die österreichische Spielweise im Wechsel auf mehreren Maultrommeln gleichzeitig zu spielen. Es reicht eben mal doch nicht – nur auf einem Grundton zu spielen – so verbindet man mehrere Maultrommeln zu einem Set und kann während eines Stückes auf verschiedenen Grundtönen spielen. Ein klassisch Niederösterreichisches Maultrommelstück ist die „Hirschegger Polka“, die auf fünf verschiedenen Maultrommeln gleichzeitig gespielt wird – beispielsweise mit zwei in der linken und drei in der rechten Hand. Erreicht man mit seinem Maultrommelspiel solche Gefilde, darf man sich sicherlich zu Recht Maultrommelvirtuose nennen.
Vielfalt statt Einfalt
Die Maultrommel ist weltweit eines der ältesten Musikinstrumente. Die Herkunft dieses Instruments ist nicht eindeutig zu klären. Es gibt Funde in Asien geben, die bis in die Jungsteinzeit zurück reichen. Die frühesten archäologischen Funde in Europa stammen aus Frankreich und werden um 6. Jahrhundert herum datiert. Vor Jahren sollen maultrommelähnliche Funde in Süddeutschland entdeckt worden sein, die wie die asiatischen Funde bis in die Jungsteinzeit zurückreichen. Selbst in den Höhlenmalereien von Lascaux erkennen Archäologen Darstellungen von Maultrommeln. So vielfältig die prähistorischen Funde von Maultrommeln sind, so zahlreich sind auch die Namen für dieses Instrument. Im Altai heißt dieses Instrument Khomus und wer den Khomus spielt, wird im Altai schnell damit in Verbindung gebracht, ein Schamane zu sein. In Nepal heißt die Maultrommel Murchunga, in Indien Morsing, Morching oder Mourching – speziell in Rajasthan Tschangri. Auch in Europa gibt es verschiedene Bezeichnung. So nennt man die Maultrommel in Ungarn Doromb, in Estland heißt sie Parmupill, die Finnen sagen Munniharppu zu einer Maultrommel und in Sizilien selbst hat jedes Dorf einen eigenen Namen für dieses Instrument, wobei sich „Marranzano“ als allgemein anerkannte Bezeichnung durchsetzen konnte. Ich möchte nicht weiter diese kulturell-ethnologischen Besonderheiten zur Maultrommel vertiefen. Eines möchte ich jedoch nennen: in Vietnam spielt man eine ganz besondere Maultrommel – die Dan Moi. Wer Sorge hat, sich beim Spiel mit den aus Stahl, Kupfer oder Messing angefertigten Maultrommeln eine Zahnecke ausschlagen, ist bei der Dan Moi auf der sicheren Seite, denn die Dan Moi wird lediglich auf die Lippen angelegt und durch zunächst leichtes Anschlagen zum Erklingen gebracht. Das Bemerkenswerte an der Dan Moi ist, dass ursprünglich aus Maschinengewehrpatronenhülsen gefertigt worden sind, quasi ein aktiver Schritt zur Abrüstungskonversion. Maultrommeln statt Waffen.
„Und nun … wie trommelt Mann mit dem Maul?“
Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Maultrommelarten. Man unterscheidet zwischen Bügel- und Rahmenmaultrommeln. Bügelmaultrommeln werden beim Spielen an die Zähne gehalten – die Rahmenmaultrommel – sowie wie dies bei der Dan Moi der Fall ist – legt man auf die Lippen. Bei beiden Spielweisen versucht man, die Lippen zu einem Schalltrichter oder Schallloch – im Prinzip wie ein Schallloch bei einer Gitarre – zu formen. Der mittlere bewegliche Steg einer Maultrommel wird Zunge genannt. Bei der Rahmentrommel ist diese Zunge zusammen mit dem Rahmen aus einem Stück gefertigt. Bei Bügelmaultrommeln wird die bewegliche Metallzunge der Maultrommel im Unterschied zur Rahmenmaultrommel erst in einem separaten Fertigungsschritt zwischen den beiden Schenkeln des Maultrommelbügels befestigt. Um eine Bügelrahmentrommel zu spielen, wird die Maultrommel an dieser Stelle, wo die Maultrommelzunge an dem Bügel befestigt wurde, festgehalten und die Maultrommelzunge (leicht) angezupft beziehungsweise (kräftig) angeschlagen. Beide Maultrommeltypen haben gemeinsam, dass ein feiner Spalt zwischen Metallzunge und Bügel/Rahmen ist – je feiner dieser Spalt ist, desto brillanter sind in der Regel die Obertöne dieses jeweiligen Instrumentes, die nun mithilfe von Modulationen des Hals- und Rachenraumes beziehungsweise der Mundhöhle erzeugt werden. Man kann die Maultrommel vor dem Mund halten, sie zwischen die Lippen legen – oder wie es bei der Bügelmaultrommel üblich ist, an die obere und untere Zahnreihe anlegen (damit ist nicht drauf beißen gemeint) und diese mit den Lippen leicht abschließen, um die Mundhöhle zu einem Resonanz- oder Klangraum werden zu lassen. Alles klar? Wenn nicht – ich stehe während der Lebensfreude Messe als Referent zur Verfügung und werde während der Messe einen Oberton Workshop anbieten.
„Trommel deinen Rhythmus und spiel was das Zeug hält“
Wenn jemand mit seinem Gerede nervt, sagt man oftmals kurz „sei ruhig“, „Halt die Klappe“ oder einfach nur „Halt’s Maul!“. Ebenso bin ich mit der Ermahnung aufgewachsen, nicht dieses oder jenes in den Mund zu nehmen. Oft sagte meine Großmutter zu mir: „Nimm das aus dem Mund!“ – doch ich antworte damals schlicht: „Das ist eine Maultrommel! Die kann ich nur mit dem Mund spielen!“ Ist die Maultrommel ein archaisches Instrument, so war es für mich in meiner Kindheit zugleich auch ein anarchisches Instrument, mich den Ermahnungen, dieses „Spielzeug aus den Mund zu nehmen“, zu widersetzen. Heute bin ich glücklich, dieses Instrument für mich selbst entdeckt zu haben und diese Entdeckung mit anderen zu teilen. Ich wünsche mir, dass Menschen sich ebenso für die Naturtöne und Naturtonmusik begeistern können – sei es durch das Spielen von Gongs, durch Obertonsingen, oder – vielleicht als eine der ursprünglichsten Weisen des menschlichen Musizierens – das Spielen der Maultrommel. Let’s do it! Ploing it!
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