Bands und Produzenten bestehen auf schlechte Qualität, Fans fordern Umdenken
Lautheitswahn: Die Jagd nach dem Krach
Vom 19.10.2008 ( Axel Hahne )
Die Klangqualität von Musik-CDs und MP3-Dateien ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken und inzwischen schlechter als bei der Einführung der Compact Disc vor 27 Jahren. Viele Konsumenten sind verärgert und tauschen gekaufte CDs um - wegen zu schlechtem Ton und Fehlern bei der Wiedergabe. Die Probleme sind nicht technisch bedingt, sondern werden absichtlich verursacht oder wissend in Kauf genommen. Eine amerikanische Initiative fordert die Musikindustrie nun zum Umdenken auf.
In dem beliebten PC- und Videospiel Guitar Hero des kalifornischen Publishers Activision haben Rockfans die Möglichkeit, die Originalsongs ihrer Lieblingsbands auf einer speziellen Plastikgitarre mitzuspielen. Regelmäßig können dazu neue Songs und Alben erworben und aus dem Internet heruntergeladen werden. Im September 2008 wurde die neue Metallica-Platte "Death Magnet" parallel zum normalen CD-Album auch als Guitar-Hero-Version veröffentlicht. Doch statt Begeisterung bei den Metal-Fans löste sie im Web eine Welle der Empörung aus: Auf CD klingt das Album schlechter als auf der Spielkonsole.
Qualität wird schlechtgemastert
Schuld ist nicht die Aufnahme selbst oder die dabei verwendete Technik, sondern das Mastering: So nennt man den letzten Arbeitsschritt einer Musikproduktion, bei dem die fertig abgemischte Aufnahme noch den letzten Feinschliff erhält. Beim Album "Death Magnet" kam unter anderem Dynamikkompression zum Einsatz. Dabei wird die Lautstärke der Musik auf einen einheitlichen Pegel gebracht, um sie in unruhiger Umgebung wie im Auto oder mit dem MP3-Player in der Bahn einfacher hören zu können.
Ted Jensen, der Tonmeister des Death-Magnet-Albums, schrieb kürzlich in einer in einem Metallica-Forum veröffentlichten E-Mail: "Um aufgenommene Musik lauter erscheinen zu lassen, müssen Toningenieure den Dynamikumfang reduzieren, Unterschiede zwischen leisen und lauten Elementen minimieren und eine Flutwelle der akkustischen Eintönigkeit schaffen". Zwar klingt die Musik dadurch dichter und "fetter". In Wahrheit geht aber die ursprüngliche Dynamik und viele Details der Originalaufnahme verloren.
Glücklich sei er mit seinem neuesten Werk deshalb nicht, versicherte er: "Glaubt mir, ich bin nicht stolz darauf, mit dieser Scheibe in Verbindung gebracht zu werden". Doch die Schuld weist er von sich: "In diesem Fall waren die Mixes bereits übersteuert, als ich sie bekam." Meistens sind es die Band und der Produzent, die vom Tonmeister ein möglichst lautes Master verlangen.
"Rick Rubins (Anm.: der Produzent von Death Magnet) ganze Aufgabe besteht darin, einen spritzigen, lauten und aufregenden Sound zu bekommen, der aus den Lautsprechern springt", meint Lars Ulrich, Drummer und Mitbegründer von Metallica. Er sieht keine Probleme bei dem neuen Album: "Natürlich, ich habe gehört, dass sich ein paar Leute beschweren. Aber ich habe die CD in den letzten Tagen ein paar Mal im Auto gehört und sie klingt verdammt rauchig!" Fans fordern in einer Online-Petition von der Band eine Neuveröffentlichung ihres neuesten Albums. Innerhalb von drei Wochen haben dort über 16.000 Personen ihre Stimme abgegeben.
Dieses Phänomen ist kein Einzelfall, sondern ist weit verbreitet. Die Mehrheit der Musik-CDs und MP3-Dateien, die heute verkauft werden, ist davon betroffen. In der Fernsehwerbung wird diese Technik ebenfalls regelmäßig eingesetzt. Denn wenn der Fernsehzuschauer bei der ruhigen Seifenoper eingedöst ist, soll der laute und in der Dynamik komprimierte Ton der Werbung ihn wieder aus dem Schlaf reißen.
Lautheitsrennen in den Klangmatsch
Anfang der 1980er Jahre lag der mittlere Lautstärkepegel der meisten Musikveröffentlichungen bei etwa -18 Dezibel RMS, also 18 Dezibel unter der maximal möglichen Aussteuerung, so wie es die Europäische Rundfunkunion (EBU) empfiehlt. Diese Aussteuerungsreserve - auch Headroom genannt - soll einerseits für eine angenehme Wiedergabe mit genügend Dynamik sorgen und andererseits auch Verzerrungen vorbeugen, die entstehen, wenn der Ton übersteuert wird. Auf Vinyl-Schallplatten "war es nicht unmöglich, die Lautstärke über einen bestimmten Punkt hinaus zu treiben", sagt Bob Ludwig, ein US-amerikanischer Tonmeister-Veteran, der schon für viele wichtige Künstler wie Jimmy Hendrix, Paul McCartney, Queen, Madonna oder die Rolling Stones gearbeitet hat.
Als sich die CD auf dem Markt durchgesetzt hatte, begannen Bands und Produzenten jedoch von den Tonmeistern lautere Master zu verlangen, um die Alben der Konkurrenz zu übertreffen. Denn die neuen technischen Mittel ermöglichten nun, den Ton immer stärker zu komprimieren, ohne ihn in die Übersteuerung zu treiben. Andere Bands und Produzenten zogen mit und lösten damit eine Jagd nach Lautstärke aus (engl. "Loudness Race" oder "Loudness War"), die damit endete, dass die meisten Alben ab dem Jahrtausendwechsel nur noch durchschnittlich etwa acht Dezibel Headroom aufwiesen.
Einige besonders extreme Beispiele wie 1999 "Californication" von den Red Hot Chili Peppers verfügen sogar nur noch über 3 bis 4 Dezibel Dynamik, was bedeutet, dass die lautesten Signalspitzen gerade einmal anderthalb mal lauter sind als die Durchschnittslautstärke der Aufnahme. Die Jagd ist damit an ihrem Ende angelangt, da stärkere Kompression ohne extreme Verzerrungen physikalisch nicht mehr möglich sind.
Die Opfer des Lautstärke-Krieges
Diese extreme und immer gleich laute Musik hört sich auf einer guten Anlage nicht nur sehr flach an, sondern hat auch zu weiteren Problemen bei der Wiedergabe über Ohrhörern von MP3-Player beigetragen: nach einem aktuellen Gutachten der EU setzen sich zweieinhalb bis zehn Millionen EU-Bürger – die so genannte Generation iPod – einem erhöhten Risiko aus, ihr Hörvermögen dauerhaft zu verlieren. Der bisher gültige Grenzwert von 100 Dezibel reicht demnach nicht aus, um Hörschäden zu vermeiden. Die EU-Kommission erwägt deshalb neue Lärmschutzvorschriften für MP3-Player.
Inzwischen haben viele Musikliebhaber genug von diesem Lautheitswahn. Nicht nur unter Metallica-Fans hat er eine Protestwelle ausgelöst. Viele Musikliebhaber kaufen vermehrt wieder die gute alte Schallplatte, denn da ist extreme Kompression aus technischen Gründen nicht möglich. Seit einigen Jahren veröffentlichen viele Bands ihre neuen Alben wieder auf Vinyl. Der Handel verzeichnet steigenden Absatz: Seit dem Tiefststand Mitte der 1990er Jahre sind die Verkaufszahlen um 75 Prozent gestiegen.
Wege aus der Krise
In Amerika versucht seit einiger Zeit die Initiative "Turn Me Up!" Musikproduzenten zum Umdenken zu bewegen und Alben wieder dynamische mastern zu lassen. Doch diese fürchten, dass ihre CDs nicht mit anderen mithalten würden und sich Kunden über die geringe Lautstärke beschweren. Daher soll ein Aufdruck der Initiative Käufer auf der CD-Hülle darauf hinweisen, dass sie die Lautstärke nur etwas aufzudrehen brauchen, um die Musik in voller Dynamik und Qualität genießen zu können.
Die heutigen und zukünftigen Vertriebswege könnten aber auch einen anderen Ausweg ermöglichen: Die Blu-ray Disk und Flash-Speicherkarten böten genügend Platz, um zwei Varianten eines Albums unter zu bringen und dem Konsumenten die Wahl zu überlassen. Auch bei Download-Shops wie dem iTunes Store oder akuma.de wäre ein zusätzlicher Button für eine umkomprimierte Version technisch kein Problem.
Doch bis in der Musikindustrie ein Umdenken einsetzt, bleibt den qualitätsbewussten Musikliebhabern immer noch der Griff zur mittlerweile 60 Jahre alten Vinyl-Schallplatte oder der Plastikgitarre von Guitar Hero. Denn die klingen immer noch so wie es sein sollte. Und die Labels können weiter über sinkende CD-Verkäufe jammern.
Dieser Beitrag wurde mir gerade per Mail zugeschickt und möchte ihn hier mit euch teilen.